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Im Gespräch mit Sophie Huguenot

Sophie Huguenot fotografierte mit einer seltenen Hartnäckigkeit mehrere Jahre lang den Nachrichtendienst der Télévision Suisse Romande (TSR), die sich inzwischen zum RTS (Radio Télévision Suisse) gewandelt hat. Ihr lnteresse galt dieser monumentalen Institution unseres Alltags zu einem ganz besonderen Zeitpunkt, nämlich dem Übergang vom analogen zum digitalen Medium, in der sogenannten «digitalen Revolution», welche unser Verhältnis zur Information und zu den Medien grundlegend beeinflusst hat.

Eigentlich hätte sich das Ganze ziemlich banal anhören können, wenn Sophie Huguenot nicht völlig entgegengesetzt zur Hektik und Unmittelbarkeit eines Nachrichtendienstes gehandelt hätte. Stattdessen setzte sie das bevorzugte und historische Werkzeug des dokumentarischen Stils ein: die Fachkamera.

Die bewusste Entscheidung für ein verbindliches, langsames und schweres Protokoll verleiht Huguenots Arbeit ihre volle Bedeutung. Von den sehr beherrschten, gerahmten und inszenierten Fernsehbildern zwingt die Fotokamera die Künstlerin einen Schritt zurückzutreten, sowohl physisch als auch zeitlich. Sie macht sich die Langsamkeit ihres Geräts bereits bei der Umsetzung des Projekts zu eigen und ist sich der Tatsache bewusst, dass sie möglicherweise die Haupthandlung verpassen konnte, die von den Fernsehkameras eingefangen wird und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Durch diese gewollte, kalkulierte und wohlüberlegte Abseitsstellung ermöglicht uns die Fotografin einen Blick hinter die Kulissen. Gleichzeitig zeigt sie uns aber auch auf sehr subtile Weise das Bühnenbild selbst als Schauspieler, er­ weitert um sein gesamtes technisches Dekorum. Zudem belichtet sie die Protagonisten des Fernsehbildschirms, die durch ihr tägliches Eindringen in unser Leben zu vertrauten Stars geworden sind, im gesamten Bereich des flüchtigen und extrem kodifizierten Moments, wenn sie auf Sendung gehen, jedoch auch im gesamten Off der Vorbereitung, der Probeaufnahmen und des Wartens. Ein Warten, das lang und mühselig erscheint und das Sophie Huguenot auf faszinierende Weise einfängt.

Von durch schlechtes Wetter verklärten Landschaften bis hin zu anekdotenhaften Regionalsendungen verstehen sich die Aufnahmen als Sammlung einer vergehenden Zeit. Einer langen Zeit, die zusätzlich durch die Bilder von kargen Studios betont wird, die systematisch und fieberhaft je nach Nachfrage der Sendungen umgebaut werden oder ungenutzt bleiben, weil ganze Teile des technischen Materials veraltet sind.

Die Aufnahmen von Sophie Huguenot sind banal, anekdotisch, hors-champ, aus dem Rahmen fallend. Und genau das ist es, was ihre Stärke ausmacht, als Echo auf die immense Menge an produzierten 4x5-Inch-Negativen (10x12 cm), die sich im Laufe der vielen Jahre der Dokumentation angesammelt haben. Man sollte diese Bilder und den gesamten Prozess, der sie begleitet, als einen Akt des Widerstands verstehen, in der heutigen Hektik der Mittel zur Produktion von Bildern und ihrer Verbreitung. Eine Form der «Körperaustritts» -Erfahrung in einer Zeit, in der das Fernsehen, zumindest so, wie wir es bislang kannten, womöglich einen «Nahtod» erleidet.

Unser Gespräch fand in einem kleinen Chalet oberhalb von Les Avants statt, abgeschieden von der Welt, wo Sophie Huguenot gerade damit beschäftigt war, die Abfolge des Buches zusammenzustellen, das über diese Arbeit erscheinen soll.

Eine delikate Arbeit mit einer von den heutigen Anforderungen an Ästhetik oder schnelle und rastlose Produktion weit entfernten Zeitlichkeit, die sowohl eine Narrative als auch Zeit zur Reflexion ermöglicht über das Medium Fernsehen, das so allgegenwärtig in unserem Leben ist oder war. Auf zeitlose Weise hinterfragt sie alle Aspekte, Vergangenheit wie Gegenwart, der mentalen und visuellen Dispositive, die wir konstruieren und deren Wahrnehmung die Verfassung unserer Gesellschaften beeinflusst.

Leo Fabrizio